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Ich bins dein Nachbar…Kemal Dogan

kemal_doganEines Tages sind Millionen Seesterne an die Küste des Meeres gespült worden. Während sich Fachleute den Kopf darüber zerbrachen, wie man die Unmenge an Seesternen retten kann, warf ein Mann einen von ihnen zurück ins Wasser. Auf die Frage, was er da mache, antwortete er: „Ich kann  im Moment nicht alle  retten, aber für diesen einen, den ich ins Wasser geworfen habe, für den hat sich gerade was geändert.“
Diese Geschichte erzählte mir Kemal Dogan und sie steht exemplarisch für seine Person. Als junger Mann flüchtete er aus der Türkei nach Deutschland, arbeitet seit über zwanzig Jahren bei Ford und ist ein fürsorglicher Vater. Sein ganzes Leben lang war Kemal Dogan aktiv, für Verständigung untereinander und für die Verbesserung der Lebensumstände der Menschen. Im letzten Jahr hat er nach einem langen Kampf endlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und einmal mehr gezeigt, dass es etwas bringt für seine Rechte zu kämpfen.
Wir haben Kemal getroffen und ihm ein paar Fragen gestellt.

Kurz gesagt:

Ein guter Tag beginnt für mich, wenn…die Sonne scheint.
Ich komme ursprünglich aus…der Türkei.
Ich bin nach Kalk/Mülheim gekommen weil…hier viele Immigranten wohnen.
Mein liebster Fleck Mülheim ist…der Wiener Platz.
Drei Worte, die meinen Charakter beschreiben…offen, ehrlich, Türke
Ich mag es gern, wenn…spontan gemeinsame Geselligkeit / Feiern entstehen
Ich mag es nicht gern…allein zu sein
Zurzeit lese ich das Buch…“Deniz Gezmis“ von Turhan Feyzoglu
Dieses Erlebnis vergesse ich nie…wie mir die Polizei auf der Autobahn bei einer Panne geholfen hat
Auf eine einsame Insel nehme ich mit…Bücher, meine Liebe, ein paar Leute, damit es nicht einsam wird
Als Kind wollte ich…immer jemand werden, der anderen Menschen hilft
Glück bedeutet…nicht von anderen Leuten benachteiligt zu werden und selbst Andere nicht benachteiligen

Hallo Kemal, du warst in der Türkei politisch aktiv, bevor du nach Deutschland kamst. Welche Aktivitäten waren das?
Das war Anfang der 80-er Jahre. Ich war in der sozialistischen Bewegung. Wir waren überwiegend Jugendliche und somit recht unwissend. Wir wollten eine Revolution durchführen und die Ausbeutung aus der Welt schaffen. Das Problem dabei war, wir haben dabei unsere eigenen Leute nicht beachtet.

Wie meinst du das?
Jedes Land hat seine Kultur und seine Geschichte. Aber wir haben bspw. nach Russland, nach China oder nach Albanien gekuckt. Wir haben von Marx gesprochen, Shakespeare, Goethe, Emanuel Kant…anstatt uns mit den Ideen und Gegebenheiten in der Türkei auseinander zu setzen. Die Bewegung zerbrach und nach dem Militärputsch 1980 musste ich aus der Türkei fliehen.

Dein Onkel war Polizist und hat dich damals, da du kein Visum hattest, mit dem Auto über die Grenzen gebracht. Deine Einreise nach Deutschland war weitaus einfacher, als du gedacht hattest. Warum?
Wir fuhren im Sommer. Zu dieser Zeit sind viele Türken, die in Deutschland lebten, aus dem Türkei-Urlaub zurückgekommen. Damals flog man noch nicht so oft, wie heute. Es waren so viele, dass wir an der Grenze einfach durchgewunken wurden. Denn hätte man jedes Auto kontrolliert, hätte es einen riesigen Stau gegeben. Es war so einfach, dass ich es kaum fassen konnte. Ich hatte wirklich Glück.

Du selbst bist in der IG Metall. Als Mensch möchtest du Brücken bauen und engagierst dich u. a. in deinem direkten Umfeld. Lange hast du in Mülheim gelebt und nun wohnst du in Kalk. Was gefällt dir hier?
Obwohl es viele Ausländer gibt, gibt es keinen großen Streit zwischen den Menschen. Wenn man Mülheimer anspricht, baut man schnell ein Verhältnis auf. Die Menschen sind sehr offen und Vorurteile können schnell abgebaut werden. Als ich in Mülheim gewohnt habe, saß ich oft im Sommer am Wiener Platz und habe die Menschen beobachtet. Auch die Bibliothek finde ich sehr gut. Dort habe ich immer türkische Zeitungen gelesen. Der Wiener Platz ist eine Identifikation für mich. Das passt in meinem Kopf zu Deutschland. Er ist sehr ordentlich und sehr diszipliniert. Nur ein bisschen Grün fehlt.

Du trittst aktiv für die Verständigung der Menschen untereinander ein. Was findest du, müsste hier noch getan werden?
Die Ursache der schlechten Integration liegt meiner Meinung nach darin, dass jeder sein eigenes Getto und seine eigene Welt hat. Mir wäre es lieber, wenn alle ab und zu aus ihrem Büdchen raus kommen und „Hallo“ sagen. Dabei kann natürlich jeder seine Identität behalten. Das passiert leider nicht von allein, dafür braucht man eine Organisation. Deswegen finde ich dieses Fest „FriedensARTen“ in Mülheim sehr wichtig. Weil hier viele unterschiedliche Menschen aufeinander treffen.

Bei Ford bist du Vertrauensmann der IG-Metall. Außerdem nimmst aktiv an Friedens- und Protestbewegungen teil und bist politisch links orientiert. Zurzeit unterstützt du die Bewegung der Tekel-Arbeiter in der Türkei. Was ist dort passiert?
Durch den Aufkauf des staatlichen Tabakkonzerns Tekel von der British American Tobacco ist der Tabakanbau in der Türkei fast völlig zum Erliegen gekommen. Die Arbeiter in den Fabriken sollen nun mit neuen Arbeitsverträgen zu Bedingungen einverstanden sein, die ihre Existenz bedroht. Hierfür gingen sie auf die Straße und protestierten in Ankara.

Nach fast zehn Jahren Kampf hast du im vergangenen Jahr deine Deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Warum wurde dir der Deutsche Pass, der dir rechtlich zustand, so lange verweigert?
Ich war sehr verblüfft, dass mein Antrag abgelehnt wurde. Jahrelang habe ich hier für demokratische Rechte gekämpft, das war ein derber Schlag für mich. Ich war immer politisch aktiv und nun wurde mir genau das vorgeworfen und ich sollte mich distanzieren. Sie haben mir deutlich gemacht, wenn du als Ausländer Politik machst, dann wirst du nicht eingebürgert. Einen richtigen Grund konnten sie mir aber nicht nennen, so habe ich keine Straftaten begangen und unterstütze keine verfassungsfeindlichen Organisationen.

Vier Jahre hast du vergebens allein mit der Stadt Köln verhandelt. Dann hast du dir Verstärkung durch einen Anwalt und Freunde geholt. Ihr habt den Freundeskreis gegründet und vor dem Amtsgericht geklagt. Diese wurde abgewiesen, wie ging es dann weiter?
Wir konnten in die nächste Instanz gehen. Es war ein Teilerfolg.
Wir führten etliche Veranstaltungen, so z.B. Podiumsdiskussionen mit dem Rechtsanwalt durch. Wir veranstalteten zwei Demonstrationen einmal in Mülheim und einmal in Kalk, was viel Aufmerksamkeit erregte. So berichteten der Kölner Stadtanzeiger und türkische Medien darüber.
Beim Oberverwaltungsgericht wäre mein Fall ein Präzedenzfall geworden. Also riet man der Stadt Köln, dass wir uns untereinander einigen sollten.

Der Stadtdirektor von der SPD hat euch dann eingeladen und sich für dich eingesetzt. Und letztendlich hast du nach zehn Jahren deinen Pass bekommen. Was wolltest du mit diesem Engagement zeigen?
Es geht mir dabei nicht allein um den deutschen Pass. Mit politischen und demokratischen Mitteln haben Freunde zusammen gestanden und gekämpft. Mit Erfolg.
Ich als Mensch werde nun eher als politisch kämpfender Mensch gesehen. Nicht als Ausländer, Ford-Arbeiter, Türke. So hat mir der Stadtdirektor bei der Passvergabe auf die Schulter geklopft und gesagt: „Kemal das hast du gut gemacht. Mach weiter so.“ Denn ich habe mich eben nicht zurückgezogen und auf die Deutschen geschimpft. Im Gegenteil, es haben mir viele Deutsche geholfen. Warum soll ich wegen einer Bearbeiterin der Stadt Köln alle Deutschen abstempeln? Das wäre die Folge gewesen, wenn ich nicht für mein Recht gekämpft hätte.

Hast du einen Grundsatz, der dich auf deinem Weg begleitet?
Ich habe in meinem Leben viele Probleme erlebt. Es hat mir immer geholfen zu fragen, „Was mache ich und warum mache ich das?“ Dann bekomme ich Antworten und kann mich weiter entwickeln.

Nun bin ich neugierig zu wissen, wie dein Leben aussähe, wenn die Welt wäre, wie du sie gern hättest?
Ich würde selbst arbeiten und etwas auf die Beine stellen. Gern würde ich wieder auf dem Land in einer Gemeinschaft leben. Locker, aber trotzdem was aufbauen. So gut, wie es geht. Ohne anderen Leuten absichtlich zu schaden, möchte ich mich weiter entwickeln. Ich lebe in einer Gesellschaft und ich möchte mich um diese kümmern. Es liegt mir am Herzen, Werte zu  schaffen, die dem Menschen und der Umwelt dienen. Ich möchte mit dem glücklich sein, was ich habe. Zusammengefasst kann ich sagen, ich möchte, dass Menschen sich ausleben, ohne Ausbeutung und ohne Unterdrückung.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass alle Menschen glücklich sind. Meiner Meinung nach, ist die Menschheit klug genug, dass Hunger oder Krieg nicht nötig sind. So dass man frei leben kann. Ich wünschte die Familien lassen ihre Kinder freier leben. Sie haben immer Angst. Frei nach Nazim Hikmet „Jeder Mensch soll so allein und glücklich sein, wie ein Baum und so gemeinsam und brüderlich wie ein Wald.“

Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Ilka Baum

Kontakt:
E-Mail: kdogan@hotmail.de
Tel.: 0174 - 483 78 40

Das Interview können Sie in der Print-Ausgabe der Mülheimer Stimmen Nr. 166 März/April 2010 nachlesen - erscheint am 20.03.2010 www.muelheimer-stimmen.de

Interview in PDF! Ich bins dein Nachbar...Kemal Dogan