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Kölner Projekt "Mülheim 2020" – eine niederschmetternde Bilanz: Kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen!

muelheim 2020 logoWie viele neue Arbeitsplätze wurden mit dem "Mülheim 2020"-Programm geschaffen?
Dies war eines der Themen in der Mülheimer Bezirksvertretung am 3. Juni.
Ich selbst konnte in der Begründung eines Bürgerantrags zur Durchführung des Projektes "Neue Arbeit für Mülheim“ nur eine Null-Bilanz vorlegen.
Mit 40 Millionen Euro an bereitgestellten Fördermitteln wurde bisher kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Nur beim "Projekt Neue Arbeit für Mülheim" könnten noch bis zu 12 sogenannte niedrigschwellige Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn denn die Verwaltung überhaupt einmal ein Verhandlungsgespräch führen würde.
Was umso verwunderlicher ist, da die europaweite Ausschreibung nun schon seit drei Monaten aufgehoben ist.
Kurios: Die Bezirksvertretung beschließt, dass die Verwaltung weiter prüfen und trödeln darf.

Es folgen meine Rede für den Antragsteller SMS und ein kommentierender Bericht über die Reaktionen der Verwaltung und der Bezirksvertretung:

Sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Fuchs, sehr gehrte Damen und Herren, Hilfe zur Selbsthilfe ist groß geschrieben im Mülheim 2020-Programm, das im Mai 2009 vom Rat der Stadt Köln verabschiedet wurde. Darin heißt es unter dem Stichpunkt Self-Empowerment: "Ein zentraler Ansatz ist eine Hilfe-zur-Selbsthilfe-Strategie."

Insbesondere soll die um 50% höhere Erwerbslosigkeit auf den städtischen Durchschnitt gebracht werden. In Zahlen von 2007 sollten 1.600 Menschen wieder in Arbeit kommen, davon 600 Langzeitarbeitslose. Deswegen ist es das Kernstück im Mülheim-Programm direkt neue Arbeitsplätze zu schaffen insbesondere im Bereich Migranten und schwer zu vermittelnder Erwerbsloser.

So war es vorgesehen:

Beim Leuchturmprojekt "Internationales Geschäftshaus" sollten in 200 Läden und Büros ca. 1.000 Arbeitsplätze und 50 Ausbildungsplätze neu geschaffen werden. Beim Bau-Recylinghof mit Entkernung von Abbruchgebäuden, Trennung der Materialien und Wiederverkauf zu günstigen Preisen sollten bis zu 50 Arbeitsplätze neu geschaffen werden.

Bei der "Neuen Arbeit für Mülheim" sollten bei der Renovierung einer Gebäudehalle und beim Aufbau von Geschäftszweigen 12 niedrigschwellige Arbeitsplätze für schwer zu vermittelnde Menschen neu geschaffen werden.

Durch Bildungsarbeit und Qualifizierung sollten weiterhin Menschen aus unserem Stadtviertel die Chance bekommen, in bestehenden Geschäften und Firmen einen Arbeitsplatz zu finden.

Alles in allem zeigt sich, dass das Mülheim-Programm ein realistisches war. Leider sind die Chancen seitens der Verwaltung der Stadt Köln leichtfertig verspielt worden. Der Rat hatte wohl schon seine Zweifel und hat deswegen schwarz auf weiß ins Programm geschrieben:

"Es ist nun die Aufgabe der Stadt Köln, Förderanträge zu stellen und für einen zügigen Programmstart zu sorgen." Und: "Die Projekte sind so angelegt, dass sie in der Regel im Jahr 2009 beginnen können und 2013 enden."

Die Bilanz ist vernichtend:

Das Leuchturmprojekt "Internationales Geschäftshaus" brauchte nur ein Gelände, was auch im Mülheim 2020-Programm genannt wird, nämlich einen Teil der jetzigen Industriebrache "Alter Güterbahnhof". Alles andere hätten Investoren dann selbst gestemmt. Um den Rheinufer-Radweg zu realisieren, wurde Firmen für Millionen Euros Gelände abgekauft. Was gar nicht im Mülheim-Programm vorgesehen war. Aber ein Geländekauf für ein internationales Geschäftshaus, wo viele Migranten Arbeit und Existenz hätten finden können, war nicht möglich. Es gab auch kein Wirtschaftsbüro, was hier unterstützend hätte helfen können, weil es erst jetzt im April 2013 eröffnet wurde. Fazit: Null statt 1000 neuer Arbeitsplätze, insbesondere für Migranten.

Beim Baurecyclinghof wollte man Jugendlichen, die sonst keine Chancen haben, eine Perspektive geben. Aber es wurde alles solange verzögert, bis sich die Rahmenbedingungen bei der Förderung durch die Arbeitsagentur änderten. Dann wurde das Projekt als nicht wirtschaftlich einfach abgesetzt. Das oft erwähnte Ersatzprojekt wird dagegen keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen. Das Projekt "Stadtteilmütter" wurde dagegen rechtzeitig auf den Weg gebracht und kann mit der Förderung durch die Arbeitsagentur erfolgreich wirken. Hier fragt sich der Bürger, warum das eine auf den Weg gebracht wurde und das andere nicht. Fazit: Null statt 50 neuer Arbeitsplätze insbesondere für Jugendliche.

Bei der "Neuen Arbeit für Mülheim" wollte man zwölf Menschen, die schwer zu vermitteln sind, für wenig Fördergeld aus dem Hartz IV-Bezug dauerhaft rausnehmen. Wenn denn die Projektzeit wie vorgesehen fünf Jahre betragen hätte. Hier drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die Verwaltung alle Register zog, das Projekt zu verzögern. So wurde erstens das Projekt in komplizierter Weise europaweit ausgeschrieben, obwohl dies bei sozialen Projekten ganz unüblich ist. Erst Ende 2010 war dann die Bewilligung da.

Zweitens folgte dann das kaum Vorstellbare: Für die Ausschreibung des leicht überschaubaren Projektes brauchte es sage und schreibe 15 Monate.

Sehr geehrte Mitglieder der Bezirksvertretung, Sie können ja mal Herrn Projektleiter Oster fragen, warum dies solange dauern musste.

Dann hatte drittens die Ausschreibung noch erhebliche Mängel, die gerügt und von der Stadt behoben wurden. Aber in einer Frage blieb die Stadtverwaltung unnachgiebig. Mit deutlich weniger Fördermitteln sollten in einer Laufzeit von nur zwei Jahren weiterhin 12 Arbeitsplätze geschaffen werden. Mag ein Vergabegericht dies auch als im juristischen Sinne formal möglich eingestuft haben, realitätstauglich kann das nicht sein. In der üblichen Wirtschaftsförderung sind beim Aufbau von Firmen fünf Jahre Förderung vorgesehen, wie soll das bei fünfzigprozentiger Förderung für die gleiche Anzahl an Arbeitsplätzen in der halben Zeit möglich sein? Noch dazu, wo es sich bei dem Projekt "Neue Arbeit" um schwer zu vermittelnde Erwerbslose handelt. Es ist ein sozial sehr anspruchsvolles Projekt, was sich nur wenige durchzuführen trauen. Fakt ist, dass sich unter diesen Rahmenbedingungen bis zum Ende der Frist im Juni 2012 niemand auf die Ausschreibung beworben hat.

Sofort wäre es viertens die Pflicht der Verwaltung gewesen, die Ausschreibung aufzuheben und die Bieterverhandlung zu beginnen. Angeblich war dies nicht möglich, weil eine Klage bei der Vergabekammer lief. Das Gegenteil ist richtig. Nach einer Aufhebung der europaweiten Ausschreibung wäre die Klage gegenstandslos geworden.

Stattdessen wurde fünftens ein neuer Weg gesucht, die "Neue Arbeit für Mülheim“ nicht machen zu müssen. Die Verwaltung fragte beim Regierungspräsidenten an, ob es möglich sei, das Projekt bei gleichen Fördermitteln auf eine deutlich geringere Zahl von Teilnehmern zu reduzieren, weil die Projektzeit sich durch die Verschleppung verkürzt hatte. Das ist natürlich nicht möglich. Sinkt die Teilnehmerzahl, sinkt auch die Förderungssumme. Für die eigentlich selbstverständliche Antwort brauchten RP und die Stadt schließlich fünf Monate. Jetzt beharrt die Verwaltung paradoxerweise weiterhin auf der vollen Teilnehmerzahl, obwohl schon vier von fünf möglichen Projektjahren verstrichen sind. Jetzt ist die Rest-Projektzeit so kurz, dass eine Realisierung immer schwieriger wird.

Beim Projekt "Sprachförderung in den Kitas" war dies ganz anders: Niemand hatte sich auf die Ausschreibung beworben, weswegen die Stadt die Bieterverhandlung startete. In sieben Monaten stand das Projekt und die AWO führt es seit dem Januar 2013 durch. Herr Bezirksbürgermeister Fuchs lobte im Veedelsbeirat die kreative Arbeit von Herrn Oster und Bildungsdezernentin Klein. Fazit: Wahrscheinlich null statt 12 Arbeitsplätze in der Sozialen Ökonomie.

Ein weiteres Fazit, das sich dem Bürger aufdrängt:

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wo kein Wille ist, ist kein Weg. Bleibt die Frage des Warum? Warum wollte und will die Verwaltung trotz der Vorgaben des Rates der Stadt Köln in dem benachteiligten Mülheim keinen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffen? Dies ist eine Frage, die die in Köln regierende rot-grüne Koalition beantworten muss. Es geht nämlich um die Frage, ob es so bleiben soll, dass in Köln de facto die Exekutive anstatt der Legislative regiert.

Wer auf der Strecke bleibt, sind wie so oft die Ausgegrenzten, denen trotz der gerade für sie vorgesehenen EU-Gelder die Tür in eine bessere Zukunft verschlossen bleibt. Gerade ihnen sollte mittels des Mülheim 2020-Programms in vorbildlicher Weise eine gute Möglichkeit gegeben werden, wieder in Brot und Arbeit zu kommen. Stattdessen dürfen sie sich nun in teuer aufgehübschten Straßen die Waren anschauen, die sie nicht kaufen können. Straßen, die wiederum mit vielen EU-Fördermillionen, zurzeit modernisiert werden.

Was bleibt, ist große Enttäuschung. Enttäuschung um die verlorenen, nicht sozial genutzten zehn Millionen Euro an Fördermitteln, die wieder nach Brüssel zurückgehen oder stattdessen teilweise noch in den Straßenbau fließen sollen. Enttäuschung darüber, wie Verwaltungsbeamte hinter den Kulissen willkürlich entscheiden, was an Projekten umgesetzt wird und was nicht. Und das auch noch zum Schaden des städtischen Haushaltes, der für die Erwerbslosen zum guten Teil aufkommen muss. So kann aus verpassten 10 Fördermillionen schnell ein Schaden von 100 Millionen Euro für die Stadt Köln entstehen.

Das Mülheim 2020-Programm ist im Kernbereich und damit insgesamt gescheitert. Die Probleme im Stadtteil bleiben aber bestehen. Mehr als 1.000 Arbeitslose warten weiter auf ihre Chance. Wann werden Politik und Verwaltung deren Recht auf Arbeit ermöglichen?

Sie alle warten auf eine Antwort. Spätestens bei der kommenden Kommunalwahl.

Einzig das Projekt "Neue Arbeit für Mülheim" kann noch in begrenztem Umfang gerettet werden. Damit hat die Bezirksvertretung die Verwaltung beauftragt. Allerdings wurden meines Wissens immer noch keine Bieterverhandlungen begonnen. Ich möchte daher anfragen, wann die Verwaltung geruht, den Beschluss umzusetzen und Verhandlungen zu eröffnen.

Die Reaktionen auf diese Bilanz:

Die Reaktionen auf diese Bilanz waren ähnlich niederschmetternd wie die Bilanz selbst. Projektleiter Oster wusste zur Bilanz nur zu sagen, dass die Darstellung schief wäre, konnte aber andererseits keinen einzigen Arbeitsplatz benennen, der neu geschaffen worden wäre. Beim Projekt "Neue Arbeit für Mülheim“ ließ er es weiterhin offen, ob ein Verhandlungsgespräch überhaupt begonnen werden könne. Weil der SSM als möglicher Bieter in Briefen an die Verwaltung fordere, wegen der Verkürzung der Projektzeit weniger als zwölf Teilnehmer in das Projekt aufnehmen zu können. Damit würde er ebenso wie in seinem negativen Herangehen an die Verwaltung in Veröffentlichungen den Verhandlungsspielraum selbst einengen. Unter diesen Bedingungen wären Verhandlungen ja ein "Kuhhandel“, für den er nicht zu haben wäre. Wobei er der Bezirksvertretung verschwieg, dass der SSM ihm geschrieben hatte, dass er durchaus auch über zwölf Teilnehmer verhandeln würde. Es fragt sich wieder und wieder, warum will die Verwaltung noch nicht einmal einen einzigen Arbeitsplatz mit den EU-Geldern schaffen, warum können noch nicht einmal Verhandlungsgespräche mit einem möglichen Bieter begonnen werden?

Andrea Restle und Günter Hermkes von den Grünen traten als Bittsteller auf. Anstatt der Verwaltung einen klaren Rechtsstandpunkt darzulegen, anstatt die Verwaltung in einem Antrag aufzufordern, endlich und unverzüglich Verhandlungsgespräche zu beginnen, baten sie artig, ob es Herrn Oster vielleicht nicht doch möglich wäre, Spielräume zu nutzen und die Zahl der Teilnehmer zu reduzieren.

Alexander Lünenbach von der SPD hielt eine Rechtfertigungsrede für die Verwaltung. Vieles wäre nicht zutreffend, sachlich nicht richtig, manches fast ehrabschneidend. Es läge nun mal nicht in der Hand der Verwaltung, die Abläufe von Bewilligungsentscheiden zu beeinflussen. Warum die Verwaltung 15 Monate gebraucht hatte, um die "Neue Arbeit“-Ausschreibung auf den Weg zu bringen, fragte er dagegen nicht. Er wusste auch nicht zu sagen, wie viele Arbeitsplätze denn nun richtigerweise neu geschaffen worden wären.

Es zeigt sich: In Mülheim regiert die Verwaltung, regiert die Exekutive über die Legislative. Die SPD ist hier von der einst widerständigen stolzen Arbeiterpartei zur willfährigen Marionette von Verwaltungsangestellten verkommen. Bewährten Grüne sich einst im Anti-AKW-Kampf, betteln sie hier und heute Verwaltungsangestellte wie Herrn Oster an.

Der kritische Bürger ist in Köln-Mülheim jedenfalls noch nicht erfunden. Mehr Demokratie, für die Willy Brandt vehement eintrat, wird hierzulande noch nicht gewagt. Es gilt vielmehr der Zustand, den die Demokraten des Vormärz in die Worte fassten: "Die hohen Obrigkeiten walten, euch ziemt es, stets das Maul halten.“ (PK)







Autor: Heinz Weinhausen